Skip to main content

Die humanitäre Krise in der Tschadsee-Region

4 Beispiele wie WFP im Tschad, Niger, in Kamerun und Nigeria hilft
, WFP Deutsch

Von 3.-4. September findet in Berlin die „High Level Conference on the Lake Chad Region" statt. Die Region kämpft mit extremer Armut, gewaltsamen Konflikten und den negativen Auswirkungen des Klimawandels. 2,4 Millionen Menschen in der Region wurden vertreiben. 10 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Unsere WFP-Kollegen berichten aus vier Ländern über die Situation vor Ort.

1*WjGmIrmt6_8Gw34Gi55fGQ.jpeg

1. Tschad — Ernährungsschulungen

Nathalie Magnien ist Journalistin und berichtet unter anderem für das UN World Food Programme (WFP) aus dem Tschad. Dort kämpfen nationale Gesundheitsbehörden mit humanitären Partnern wie WFP gegen die steigende Mangelernährung. Denn neueste Zahlen aus Umfragen und Messungen im ganzen Land zeigen, dass die Mangelernährung besonders bei Kindern und schwangeren und stillenden Mütter besorgniserregend hoch ist.

1*ahUzE3zBGpoaUZo-0PHVMw.jpeg
Die monatliche Gewichtskontrolle ist das Wichtigste im Kampf gegen die Mangelernährung. Foto: WFP/Nathalie Magnien

Im Dorf Ngarangou, etwa eine Autostunde von Bol, der größten Stadt in der Tschadsee-Region, treffen sich Mütter und ihre Kinder einmal pro Woche im Gesundheitszentrum. Dort kontrolliert WFP, wie sich die Ernährung entwickelt. Außerdem bringt WFP in Schulungen gesunde Ernährung bei. Für die, die nicht lesen und schreiben können, benutzt WFP bunte Fahnen: rote für Proteine, gelbe für Energielieferanten, blaue für Wasser und grüne für Gemüse.

Auch die 19-jährige Gana Kakani ist heute gekommen. WFP unterstützt die werdende Mutter mit angereicherter Spezialnahrung. Ihr erstes Kind, der zehn Monate alte Adam Abdallah, wurde auch in das Programm aufgenommen. Sie brauchen jedes Mal rund 3 Stunden bis zum Gesundheitszentrum, das WFP zusammen mit unserem Partner International Medical Corps (IMC) betreiben.

"Der Fußweg ist sehr anstrengend, aber ich habe keine Wahl", sagt Gana, die mit 15 Jahren zur Ehefrau wurde.

1*zKqEhAovYhwdcMV89sCd8w.jpeg
Gana Kakani und ihr Sohn im Ngarangou Gesundheitszentrum in der Tschadsee-Region. Foto: WFP/Nathalie Magnien

Spezialisten untersuchen Adam. Er ist immer noch unterernährt und braucht angereicherte Zusatznahrung. Gana erhält eine Packung Plumpy'Sup', ein Spezialnahrungsmittel aus Erdnusspaste zur Behandlung von Mangelernährung. Bevor sie es merkt, schnappt sich Adam eine Packung und nuckelt daran, obwohl sie noch nicht geöffnet ist.

Lesen Sie die ganze Geschichte auf Englisch hier!

2. Niger — Schulmahlzeiten

Simon Pierre Diouf ist unser WFP-Kommunikationskollege aus dem Regionalbüro ins Dakar. Er hat die WFP-Schulmahlzeitenprogramme in der Region Diffa im Südosten des Landes in der Nähe de Tschadsees besucht.

1*Y1URtcvjw6AyUfjVSWBE4w.jpeg
Eine Siedlung in Diffa. Foto: WFP/Simon Pierre Diouf

Auf meinem Weg nach Abounga entfaltet sich der Sahel vor meinen Augen, wir sind am Rande der Wüste. Dreißig Minuten nach dem regionalen Zentrum Diffa erreichen wir Abounga. Es ist eine Stadt aus Zelten und Strohhütten. Hier wohnen Bedürftige, die von Gewalt vertrieben wurden. Wo kommen sie her? Aus anderen Dörfern der Diffa-Region, die näher an der nigerianischen Grenze liegen — so wie Grémadi und Tam. Denn in die Gewalt Boko Harams macht vor der Grenze keinen Halt.

Die geographische Lage der Diffa-Region ist eine konstante Bedrohung für ihren Frieden. In einigen Gebieten ist die nigerianische Grenze nur zwei Kilometer entfernt. Boko-Haram-Kämpfer können sie leicht überqueren und begehen oft tödliche Übergriffe. Diese Menschen in Diffa leben in ständiger Angst und immer mehr ziehen sich immer weiter von der Grenze zurück.

Vergangenen November startete WFP deshalb sieben Schulen ein Schulmahlzeitenprogramm für rund 2.500 Schüler. In diesem Jahr ist das Programm gewachsen und kommt 16 Schulen und dadurch mehr als 6.500 Schülern zugute — die Hälfte davon Mädchen. Die Abounga-Grundschule ist eine der Schulen.

1*82bZN7bWy2bLqBoFERsYTg.jpeg
Biri Moustapha und Moussa Mai Boukar. Foto: WFP/Simon Pierre Diouf

Fast 400 Schüler besuchen die Abounga Grundschule. Im vergangenen November beschlossen Biri Moustapha und Moussa Mai Boukar (oben), die damals Schulleiter in Grémadi beziehungsweise Tan waren, ihre beiden Schulen zusammenzulegen, als beide ihre Gemeinden Zuflucht in Abounga suchten.

"Wir mussten etwas für diese Kinder tun. Wir konnten sie nicht in die Hände von Boko Haram fallen lassen", sagt Moustapha.

Wenn diese Kinder nicht unterstützt werden, sind sie leichte Beute für Boko Haram. Einige von ihnen wurden entführt und gezwungen, sich ihnen anzuschließen.

Die Schule liegt auf einer Sanddüne. Große Zelte dienen als Klassenzimmer, wo Schüler ihrem Lehrer aufmerksam zuhören. Trotz der schwierigen Umstände geben die Lehrer ihr Bestes und setzen ihre akademische Mission fort.

1*xifVAxz-r0G_Qapu11iWig.jpeg
Aisha freut sich über das Essen. Foto: WFP/Simon Pierre Diouf

Jetzt servieren die Köche den Schülern das Mittagessen. „Das ist mein Lieblingsteil des Tages", sagt die kichernde Drittklässlerin Aisha. Zu Mittag kommen alle zusammen und teilen. Die Schüler sammeln sich zu viert oder fünft um einen Teller.

„Durch Schulmahlzeiten lernen sich die Schüler auch besser kennen. Wir bringen ihnen gegenseitigen Respekt für- und voreinander bei", sagt Moussa.

Lesen Sie die ganze Geschichte auf Englisch hier!

3. Kamerun — Bargeldtransfers

Flabert Nkwelle ist WFP-Mitarbeiter im Monitoring im Kamerun. Er war im nördlichsten Landeszipfel, der sich bis zum Tschadsee erstreckt und berichtet von unserer Ernährungshilfe für Vertriebene.

1*6FDtkYnxu_OdDjiM9bDluw.jpeg
WFP-Ernährungshilfe im Kamerun. Foto: WFP/Flabert Nkwelle

Mehr als 342 000 Menschen wurden in der Region im Norden Kameruns von Angriffen der militanten Gruppe Boko Haram vertrieben. Die Vertriebenen mussten ihre Felder aufgeben — die einzige Möglichkeit sich und ihre Familien zu ernähren. WFP und seine Partner leisten Ernährungshilfe für Menschen wie Falamata Oumar, die früher im Dorf Amchidé an der nigerianischen Grenze wohnte.

Boko Haram lancierte mehrere Angriffe auf das Dorf und zwang sie vor drei Jahren zur Flucht nach Kousseri in dem Bezirk Logone und Chari. Dort erhält sich jetzt als eine von 40.000 Bedürftigen Hilfe über Bargeldtransfers.

"Es war nicht einfach, bevor die Hilfe kam" sagt Falmata. "Dank der Bargeldtransfers haben meine Kinder und ich keinen Hunger mehr", erklärt die Mutter von sechs Kindern.

Jetzt kann sie selbstbestimmt Nahrungsmittel einkaufen. Falmata erwirbt auch Weizenmehl, um Donuts zu backen, mit denen sie ihre Familie ernähren und ein kleines Einkommen verdienen kann.

1*18-KZp3QXt_qTuefkC0kHQ.jpeg
Falmata mit einem ihrer Kinder. Foto: WFP/Flabert Nkwelle

„Das Geld aus dem Donut-Shop ermöglicht es mir, meine Kinder zur Schule zu schicken und mich um sie zu kümmern".

"Dank der kleinen Ersparnisse kann ich Bohnen zu meinen Donuts kaufen und mein Mann kann die Miete bezahlen", fügt sie hinzu.

Lesen Sie die ganze Geschichte auf Englisch hier!

4. Nigeria — Angereicherte Spezialnahrung

Patrick Fuller ist einer unserer WFP-Kollegen in Nigeria. Im Nordosten des Landes hat er gerade das Bama Camp für Vertriebene besucht.

1*9pnfqrgpdayXwXZrTnSY9g.jpeg
Ein UNHAS-Helikopter vor der Landung. Foto: WFP/Patrick Fuller

Die humanitäre Lage im Nordosten Nigerias hat sich im vergangenen Jahr dank der umfangreichen Hilfe etwas entspannt. WFP konzentriert sich jetzt besonders auf die Ernährungshilfe für neue Vertriebenen. Denn immer noch kommen täglich Bedürftige aus Gebieten an, zu denen humanitäre Organisationen keinen Zugang haben.

Für humanitäre Helfer ist der schnellste Weg in die Stadt Bama im nigerianischen Bundesstaat Borno der humanitäre Flugdienst der Vereinten Nationen (UNHAS). Beim Landeanflug des 30 Minuten nach Start in Maiduguri wird das Ausmaß des jüngsten Traumas dieser Stadt deutlich.

An der transafrikanischen Handelsroute nahe Kamerun gelegen, war Bama einst eine blühende Marktstadt — 270.000 Menschen wohnten hier. Doch 2014 wurde die Stadt von einer bewaffneten Gruppe eingenommen. Ein halbes Jahr später konnten nigerianische Truppen die Stadt zurückerobern, doch nicht bevor der Großteil der Bevölkerung geflohen und fast 85% der Gebäude zerstört waren.

1*N0m-EbuGQHsn6WsZPaEpAQ.jpeg
Vertriebene im Nordosten Nigerias. Foto: WFP/Chi Lael

Das Gelände eines ehemaligen staatlichen Internats dient heute als provisorisches Camp für 25.000 Vertriebene. Die meisten Neuankömmlinge verließen ihre Dörfer wegen der Gewalt zwischen der Armee und den nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen. Allein im Juni kamen 3.000 Menschen hierher. Einige lebten in kleinen Dörfern tief im Busch, andere waren aus dem Kamerun zurückgekehrt, wo sie zwischenzeitlich Zuflucht suchten.

Die Zahl der Hungernden in Borno, Adamawa und Yobe — den drei vom Konfliktherden im Nordosten Nigerias — ist im vergangenen Jahr deutlich von über 5 Millionen auf 3 Millionen Menschen gesunken. Aber die Situation von tausenden neuen Vertriebenen ist nach wie vor prekär. Seit Ende Oktober 2017 gibt es schätzungsweise 130.000 Neuankömmlinge aus Konfliktgebieten. Manchmal bis zu 20.000 pro Monat.

1*ohj4pB3dpnP_Pi_bnsTQfw.jpeg
Bulis Ntasiri hält Fatimas vierjährigen Sohn. Foto: WFP/Patrick Fuller

In der ehemaligen Schulhalle werden WFP-Nahrungsmittel verteilt. Bulis Ntasiri, Food Security Officer beim WFP-Partner Danish Refugee Council (DRC) bereitet die Nahrungsmittel für eine Gruppe von etwa 50 Frauen vor, die gerade mit ihren Kindern angekommen sind. Jede Familie erhält eine Monatsration Getreide, Hülsenfrüchte, Salz und Pflanzenöl. Kinder unter fünf Jahren, sowie schwangere und stillende Frauen erhalten mit Nährstoffen angereicherte Spezialnahrung.

Fatima ist eine der Frauen. Ihre Geschichte ist beispielhaft: Im Jahr 2013 wurde sie mit ihrer zweijährigen Tochter unter falschen Vorwänden von ihrem Mann, einem Kämpfer einer nichtstaatlichen bewaffneten Gruppe, entführt. Er brachte sie in ein Dorf im abgelegenen Sambisa-Wald, an der Grenze zum Kamerun. Fünf Jahre verbrachte sie in Gefangenschaft und bekam zwei weitere Kinder. Schließlich gelang es ihr mit Hilfe einer anderen Frau zu fliehen. Unter dem Vorwand im Nachbardorf Nahrung für ihre kranke Tochter zu holen, flüchteten sie drei Tage lang zu Fuß, bis sie Bama erreichten.

"Wir waren nur nachts unterwegs", erklärt Fatima. "Das wenige Essen, das wir hatten, gab ich den Kindern, damit sie nicht weinen und uns verraten. Hätte mein Mann uns gefunden, hätte er mich zurückgenommen und verkauft".

1*bfkQFATelB4Au5SZoF3ROA.jpeg
Fatima bei ihrer Registrierung. Foto: WFP/Patrick Fuller

Sanft drückt Bulis Ntasiri eine Packung Beutel Plumpy'Sup aus und füttert Mohammed mit kleinen Bissen. Diese nahrhafte Erdnusspaste ist zusätzlich mit Vitaminen und Proteinen angereichert. WFP setzt sie zur Vorbeugung und Behandlung von Mangelernährung bei Kindern ein.

Fatima ist erleichtert, dass ihre Tortur vorbei ist und ihre Kinder in Sicherheit sind. Obwohl sie Essen hat, muss Fatima jetzt jemanden finden, der seinen Kochtopf mit ihr teilt, damit sie die Nahrungsmittel zubereiten kann. Sobald sie wieder zu Kräften gekommen ist, will sie ihre Mutter und ihren Bruder in Maiduguri suchen.

1*DMv-heviCBCIdGIV4VCgjw.jpeg
Schwangere und stillende Mütter, sowie Mütter von mangelernährten Kindern warten geduldig auf ihre Zusatznahrung. Foto: WFP/Patrick Fuller

"Wir haben keine Adresse, aber ich erinnere mich, wie mein Viertel aussieht", sagt Fatima. "Ich habe nicht mehr mit meiner Mutter gesprochen, seit ich vor fünf Jahren entführt wurde. Sie weiß nicht, dass ich noch lebe".

Lesen Sie die ganze Geschichte auf Englisch hier!

Deutschland ist einer der wichtigsten WFP-Geber in der Tschadsee-Region. Das Auswärtige Amt leistet in der Region Unterstützung für humanitäre Hilfe und Logistik während das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ernährungsprogramme und Projekte fördert, die die Menschen langfristig widerstandsfähiger machen.