Im Interview: Bettina Luescher — Chief-Spokesperson in Genf
Seit 14 Jahren spricht Bettina Luescher für das UN World Food Programme (WFP) — von Genf, New York und Berlin aus. Im Interview erzählt die ehemalige CNN-Moderatorin von ihrem Einstieg bei den Vereinten Nationen (UN), ihren größten Herausforderungen und “matches made in heaven“.


1. Was sind Ihre Aufgaben in Genf?
Genf ist die humanitäre Stadt der UN. Zwei Mal pro Woche werden dort die Pressekonferenzen für die internationalen Medien abgehalten. Hier gibt es große Geberkonferenzen, wo wir um Gelder für unsere Projekte betteln. Meine UN-Kollegen und ich bringen die neuesten, wichtigsten, spannendsten Informationen über unsere humanitäre Arbeit an die Medien. Aber manchmal sagen wir gar nichts — wenn die Lage in einem Krisenort zu gefährlich ist, zu politisch prekär. Ich überlege immer, was kann ich sagen, ohne dass unsere Leute im Feld auf einmal Geisel genommen oder überfallen werden. Und es juckt mich oft: mal so richtig etwas Provokantes zu sagen, verbal auf den Tisch zu hauen, wenn man zum hundertsten Mal über den Krieg in Syrien oder die Kämpfe im Jemen berichtet. Aber als Pressesprecherin wäge ich ab, wie sehr ich mich aus dem Fenster lehnen kann. Es ist wirklich grauenhaft, was in den Kriegen dieser Welt passiert. Ich war oft in der der humanitären Task Force für Syrien, wo politische Botschafter und die humanitären Organisationen zusammenarbeiten, damit wir das OK bekommen in abgeschnittene und belagerte Orte lebensrettendes Essen zu bringen.

2. Warum haben Sie sich entschieden, für die Vereinten Nationen (UN) zu arbeiten?
Na, das war wirklich ein Traum von mir! Ich war ja lange Journalistin, beim deutschen Fernsehen und bei CNN. Habe täglich Sendungen über Kriege, Dürren, Erdbeben und Hungerkatastrophen gemacht; die Geschichten von Menschen erzählt, deren Leben davon berührt und zerstört wurde. Und natürlich waren die UN-Leute oft die Helden. Jetzt erzähle ich wieder die Geschichten, nur von der anderen Seite.

3. Wie kamen Sie zu WFP?
Lauter Zufälle — wie immer im Leben. Ich habe alle meine Jobs durch wilde Zufälle bekommen! Ich hatte schon länger überlegt, wie ich bei der UN landen könnte, und habe dann zufällig gesehen, dass WFP nach erfahrenen Presseleuten sucht. So habe ich einfach angerufen. Und die Leute am Telefon kannten mich vom Fernsehen, hatten jahrelang morgens meine Nachrichtensendungen geschaut. So war es ein “match made in heaven“ wie man auf Englisch sagt … oder vielleicht besser „A match made on TV“?!


4. Was war bisher Ihre größte Herausforderung?
Hmm, da gab es so einige. Als der Tsunami die Küste von Banda Aceh in Indonesien verwüstete und Zehntausende tötete, war ich nach wenigen Tagen vor Ort: Die Lastwagen voller Leichen; die Leichen auf den Straßen, die einfach nur mit Plastikplanen zugedeckt waren. Das war schon hart. Das sind Bilder im Kopf, die ich nie vergessen werde.
Und schwierig war´s vielleicht noch ganz am Anfang bei WFP, als ich in Darfur lernen musste, nicht wie eine Journalistin zu handeln, sondern viel vorsichtiger zu agieren. Menschen wurden plötzlich aus einem Vertriebenen-Camp ausquartiert und ohne jede Hilfe, ohne Zelte, ohne Wasser und Essen vor den Toren der kleinen Stadt ausgesetzt. Und ich habe Alarm geschlagen. Stunden später hat dann der UN-Chef diese Vertreibung veruteilt, dann das amerikanische Außenministerium, dann die EU! Und ein, zwei Tage später wurde ich plötzlich zu einem hohen Militärkommandeur vorgeladen, weil sie dahinterkamen, dass es nur eine einzige UN -Pressesprecherin in Darfur zu dem Zeitpunkt gab. Und nun warfen sie mir vor, Falschinformationen an Medien, UN, EU, State Department gegeben zu haben. Da habe ich natürlich auf doof gestellt und mich wieder heraus gewuselt.
Als ich in New York fast 9 Jahre gearbeitet habe, waren immer im September die Generalvollversammlungen der Höhepunkt des Jahres. Totaler Zirkus! Totales Chaos! Alle Präsidenten, Premierminister, Kanzler der Welt auf einem kleinen Fleck. Und Meetings im 10-Minutentakt. Nicht nur die New Yorker finden das völlig bekloppt. Ich habe 8 mal die Generalvollversammlungen mitgemacht, mitgestaltet … und überlebt. (lacht laut). Als ich dann zu meinem nächsten Posten in Genf ging, versuchten die New Yorker Kollegen mich noch mal für den September zurück zu locken. Ich nur „Nein!! Bloß nicht!“
Und mal im Ernst … Syrien, der Krieg in Syrien geht mir sehr unter die Haut. WFP versorgt Millionen von Syrern. Was die Menschen durchgemacht haben, ist wirklich grauenvoll. Und Jemen: welches Elend; welcher Hunger! Alles von Männern mit Waffen angezettelt.

5. Welchen Rat haben Sie für andere, die in einer internationalen Organisation arbeiten wollen?
Machen Sie nur etwas für das Sie voller Leidenschaft sind. Was Ihnen Spaß macht. Was Ihnen am Herzen liegt. Jeder Job wird mal langweilig, oder die Chefs nerven. Aber wenn Sie die Sache wirklich wertschätzen, gehen Sie trotz allem abends nach Hause und sagen sich: „Ich habe etwas Gutes getan.“ Und das denke ich jeden Tag. Egal was heute im Büro war, ich habe meinen kleinen Teil dazu beigetragen, hungernden Menschen zu helfen. Und das ist doch toll, nicht wahr?