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Tödlicher Konflikt in Nigeria: Was Familien für Sicherheit aufgeben

Nachdem tausende Menschen im Dezember vor der eskalierenden Gewalt fliehen mussten, kämpfen sie jetzt im Nordosten Nigerias täglich ums Überleben.
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Zarah Modu mit ihren zwei schlafenden Söhnen im Aufnahmezentrum in Monguno, im Nordosten Nigerias. Foto: WFP/Patrick Fuller

Drei Wochen lang nannte Zarah Modu ein höhlenartiges Zelt ihr Zuhause. Das Zelt dient als Aufnahmezentrum für Vertriebene, die in der Stadt Monguno ankommen. Es gibt keine Privatsphäre. Männer, Frauen und Kinder schlafen nebeneinander im selben Raum, was der Kultur in dieser Region Nigerias völlig fremd ist. Zarahs Söhne — drei und vier Jahre alt — liegen auf ihr und schlafen trotz der drückenden Hitze tief und fest. Sie gehören zu den jüngsten Opfern des lange schwelenden Konfliktes im Nordosten Nigerias, der über die letzten zehn Jahre knapp zwei Millionen Menschen aus ihrem Zuhause vertrieben hat.

Als im November 2018 die Kämpfe um Kukawa eskalierten, hörte Zarah, dass tausende Menschen vertrieben wurden. Aber sie dachte, dass sie in ihrem Dorf am Stadtrand in Sicherheit wäre.

„Eines Tages kamen Kämpfer. Sie drängten uns aus unseren Häusern und brannten sie dann nieder."

„Eines Tages kamen Kämpfer. Sie drängten uns aus unseren Häusern und brannten sie dann nieder. Wir rannten einfach nur noch und ich verlor meinen Mann. Ich weiß immer noch nicht, was mit ihm passiert ist", sagt Zarah, die zu der Zeit im neunten Monat schwanger war.

Monguno war die nächstgelegene Stadt. Nachdem Zarah mit ihren Kleinen einen Tag durch den Wald gelaufen war, war sie mit ihren Kräften am Ende. Sie musste um Essen für ihre Kinder betteln. Dann hatte sie Glück und konnte im Pick-Up einiger Männer mitfahren, die gerade Feuerholz sammelten.

Nach einer zweitägigen Reise erreichten sie endlich Monguno. Zarah war völlig erschöpft. Die Stadt war voll von Neuankömmlingen. Einige schliefen einfach am Straßenrand, während sich andere in kleinen Gruppen in Camps am Stadtrand zusammenfanden. Mehr als 80 Prozent der Schutzsuchenden waren Frauen und Kinder.

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Vertriebene Frauen, die in Monguno am Straßenrand leben. Foto: WFP/Patrick Fuller

Zarah verbrachte eine Nacht am Straßenrand vor einem Militärkontrollpunkt, wo Menschen vor ihrer Einreise in die Stadt kontrolliert wurden. In dieser Nacht bekam sie ihre Wehen. Im Vorbeigehen wurden einige UN-Mitarbeiter*innen auf ihre Notlage aufmerksam und brachten sie in eine lokale Klinik. Sechsunddreißig Stunden später brachte sie einen kleinen Jungen zur Welt. Leider verstarb ihr neugeborener Sohn innerhalb weniger Stunden. Zarahs Torturen und der Stress hatten zu Komplikationen geführt. Jetzt erholt sie sich im Aufnahmezentrum.

Zwischen November 2018 und Februar 2019 kamen zusätzlich mehr als 18.000 Menschen in die zwölf bestehenden Camps in Monguno. Die meisten von ihnen wurden aus Kukawa, Baga und den umliegenden Gebieten vertrieben.

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Tausende Neuankömmlinge bringen die zwölf Camps für Vertriebene in Mongunos an die Belastungsgrenze. Foto: WFP/Patrick Fuller

„Zum Höhepunkt der Krise in Dezember kamen jeden Tag mehr als 500 neue Vertriebene hier her. Es war völlig überfüllt."

„Zum Höhepunkt der Krise in Dezember kamen jeden Tag mehr als 500 neue Vertriebene hier her. Es war völlig überfüllt", erklärt Abdulaziz Shariff von INTERSOS, eine NGO, die das Aufnahmezentrum betreibt. „Die Menschen mussten ihre Häuser fluchtartig verlassen. Die meisten kamen zu Fuß und hatten kaum etwas mit. Ich habe niemanden gesehen, der hier mit Essen ankommt", sagt er.

Heute schwankt die Anzahl der Neuzugänge zwischen 25 und 40. Die meisten Vertriebenen wurden mittlerweile in die Camps am Stadtrand umgesiedelt, wo auch Langzeitvertriebene wohnen, die zum Teil schon vor fünf Jahren aus anderen Gebieten des Bundesstaates Bornos ankamen.

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Neue Notunterkünfte stehen neben denen der Langzeitvertriebenen. Foto: WFP/Patrick Fuller

Als Zarah endlich in Monguno ankam, hatte sie nur einen 5l-Plastikkanister für Wasser mit sich. Die anderen Frauen in der Notunterkunft leihen Zarah ihre Kochtöpfe, damit sie die Nahrungsmittel zubereiten kann, die sie vom UN World Food Programme (WFP) erhält. Alle Neuankömmlinge erhalten Notrationen von WFP.

Seit 2016 arbeitet WFP in Monguno mit lokalen Partnern zusammen und erreicht 40.000 Menschen mit überlebenswichtiger Ernährungshilfe. Die Menschen in Not erhalten Nahrungsmittelgutscheine, die sie bei lokalen Händlern gegen Monatsrationen mit Grundnahrungsmitteln eintauschen können. Mittlerweile wurde die Hilfe aufgestockt, um mehr als 50.000 Menschen mit Gutscheinen zu helfen.

„Die Märkte in Monguno funktionieren gut, deshalb sind Nahrungsmittelgutscheine eine effektive Möglichkeit, die lokale Wirtschaft zu stärken und den Menschen gleichzeitig die Möglichkeit zu geben, selbstbestimmt zu entscheiden, welche Nahrungsmittel sie kaufen wollen", erklärt Myrta Kaulard, WFP-Landesdirektorin in Nigeria.

Zudem hat WFP die Hilfe für Menschen mit besonderen Ernährungsbedürfnissen ausgeweitet, denn sie sind besonders von Mangelernährung bedroht: Fast 33.000 schwangere und stillende Frauen sowie Kleinkinder erhalten zusätzlich zu den Gutscheinen mit Nährstoffen angereicherte Spezialnahrung.

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Familien erhalten von WFP mit Mikronährstoffen angereichertes Getreide, damit die Kinder genügend Nährstoffe erhalten und gesund wachsen können. Foto: WFP/Patrick Fuller

Trotz der Militärpräsenz fühlen sich viele hier nicht sicher. Aus Platzgründen müssen einige der Neuankömmlinge nahe der Schützengräben wohnen, die Monguno umgeben. Ein Überfall durch bewaffnete Gruppen ist eine allgegenwärtige Gefahr. Erst letzten Dezember attackierten sie die Stadt, Panik brach aus und viele Hilfsorganisationen mussten die Stadt vorläufig verlassen.

Auch eine angemessene Infrastruktur in den Camps ist eine Herausforderung. Aufgrund seiner Knappheit ist Wasser zum Beispiel eine wertvolle Ware. Die wenigen Wasserstellen in den Camps können die wachsende Anzahl an Bewohner*innen kaum versorgen. Lange Warteschlangen aus Plastikkanistern stehen an den Brunnen in der Sonne. Die Besitzer*innen kommen im Laufe des Tages immer wieder zurück, um sie aufzurücken, bis sie endlich an der Reihe sind.

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Warteschlangen aus Plastikkanistern sind ein vertrauter Anblick an den Wasserstellen in den Camps. Foto: WFP/Patrick Fuller

Aus der Vogelperspektive scheinen die Camps in Monguno die Stadt einzunehmen. Das geordnete Raster aus Notunterkünften mit Wellblechdächern, die die Sonne reflektieren, heben sich sichtbar von den lokalen Lehmhäusern ab.

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Aus der Vogelperspektive scheinen die Flüchtlingscamps Monguno einzunehmen. Foto: WFP/Patrick Fuller

Weniger als 100 Meter vom Aufnahmezentrum entfernt wohnt der 54-jährige Osman Haske mit seiner Familie in einem verlassenen Rohbau. Ohne Dach ist die Familie völlig dem Wetter ausgesetzt. Osman ist gemeinsam mit 40 anderen Familien in Monguno angekommen, als die Kämpfe in seinem Heimatort Baga ausuferten. Er erzählt, dass er gar nicht wusste, dass man sich zuerst im Aufnahmezentrum registrieren müsse, bevor man humanitäre Hilfe erhält.

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Osman Haske und seine Familie wohnen in einem Gebäude ohne Dach, das früher als Toilette verwendet wurde. Foto: WFP/Patrick Fuller

„Diesen Ort haben wir bei unserer Ankunft gefunden. Von Einheimischen wurde er als Toilette verwendet. Wir haben vier Tage zum Säubern gebraucht. Seitdem kämpfen wir jeden Tag ums Überleben. Meine größte Sorge ist, wie wir hier zurechtkommen werden, wenn in einigen Wochen der Regen kommt."

„Diesen Ort haben wir bei unserer Ankunft gefunden. Von Einheimischen wurde er als Toilette verwendet. Wir haben vier Tage zum Säubern gebraucht. Seitdem kämpfen wir jeden Tag ums Überleben. Meine größte Sorge ist, wie wir hier zurechtkommen werden, wenn in einigen Wochen der Regen kommt." Osmans Familie hat es verhältnismäßig gut. Weiter draußen entfliehen Frauen und Kinder im Schatten ihrer provisorischen Hütten der sengenden Mittagssonne. Die instabilen Notunterkünfte bestehen aus Stöcken, die im Sand stecken und auf die Stoff- und Plastikreste gespannt wurden. In den vergangenen Monaten lebten tausende Vertriebene in solchen Unterkünften.

Einen Lebensunterhalt zu verdienen, ist besonders schwierig für Vertriebene in Monguno. Viele lebten früher von der Landwirtschaft. Aber hier gibt es nicht genügend Anbauflächen. Nur wenige können es sich leisten, ins Kleingewerbe einzusteigen oder ein kleines Geschäft zu eröffnen. Während die Sicherheitslage angespannt bleibt, sind die meisten auf die monatlichen Nahrungsmittelgutscheine von WFP angewiesen.

Die WFP-Hilfe in Nigeria wird auch maßgeblich von deutschen Geldern des Auswärtigen Amts ermöglicht. Mit der erneuten Unterstützung von 5 Millionen Euro kann WFP voraussichtlich mehr als 350.000 Vertriebene wie Zarah Modu, Osman Haske, ihre Familien und fast 280.000 Rückkehrer*innen im Nordosten Nigerias mit überlebenswichtiger Ernährungshilfe erreichen. Außerdem fließen die Gelder in den von WFP betriebenen humanitären Flugdienst — kurz UNHAS (UN Humanitarian Air Service). Mit UNHAS stehen der gesamten humanitären Gemeinschaft zum Beispiel Hubschrauber zur Verfügung, um Personal und lebenswichtige Hilfsgüter wie Medikamente, Impfstoffe, und Spezialnahrung in schwer zugängliche Gebiete zu bringen.

Mehr über die WFP-Hilfe in Nigeria.